Stellungnahme des Vorsitzenden der Landesgruppe Brandenburg der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Michael Stübgen:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
am vergangenen Freitag hat der Deutsche Bundestag in einer Sondersitzung nach einer sehr emotionalen und teils sehr hitzig geführten Debatte letztlich mit großer Mehrheit für die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland für die Ausgestaltung von Kredithilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus gestimmt. 439 Abgeordnete votierten dafür, 119 dagegen und 40 enthielten sich der Stimme. Aus der Unionsfraktion gab es insgesamt 60 Nein-Stimmen, davon zwei aus der Landesgruppe Brandenburg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ich persönlich habe trotz großer Bedenken zugestimmt, da es letztlich zunächst um die Aufnahme von Verhandlungen gegangen ist. Innerhalb der Verhandlungen wird sich zeigen, ob auf griechischer Seite tatsächlich ein Reformwille besteht und eine zukunftsfähige Gesamtlösung vereinbart werden kann. Es besteht jetzt für Griechenland die allerletzte Chance, einen chaotischen Grexit mit Banken-Pleiten, komplettem Wirtschafts-zusammenbruch und unkontrollierbaren sozialen Verwerfungen – was die schlimmste aller Alternativen wäre – zu verhindern. Die aktuell vom linken Ministerpräsidenten vorgenommene Regierungsumbildung und Ankündigung einer eventuellen Neuwahl zeugt nicht davon, dass Griechenland die Zeichen der Zeit wirklich erkannt hat.
Den Vorschlag unseres Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, eines „Grexits auf Zeit“, Schuldenrestrukturierung im Pariser Club, humanitäre Unterstützung und Makrofinanzhilfen hätte ich für alle Beteiligten als den besseren Weg angesehen. Insbesondere die griechische Wirtschaft könnte von einem Ausstieg aus der Währungsunion langfristig gesehen stärker profitieren, weil sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern würde. Hinzu kommt, dass der überbordenden griechischen Staatsverschuldung, die auch mit einem neuen Hilfspaket weiter steigen wird, nur außerhalb der Währungszone mit einem Schuldenschnitt wirksam Einhalt geboten werden kann.
Für mich völlig unverständlich ist die an Wolfgang Schäuble aufgekommene Kritik für den Vorschlag eines Grexits auf Zeit. Ein Europa der Beliebigkeit, wo nicht sämtliche möglichen Varianten auf den Tisch gepackt und diskutiert werden dürfen, bringt uns in der jetzigen Situation nicht weiter. Deshalb setze ich großes Vertrauen in Wolfgang Schäuble, dass er bei den nunmehr anstehenden Verhandlungen seine klare und stringente Linie fortsetzen wird. Hilfen kann es nur geben, wenn eine tragfähige Gesamtlösung gefunden wird, zu der sich Griechenland ohne Wenn und Aber bekennt.
Worum geht es nun bei den anstehenden Verhandlungen?
Ein Hilfsprogramm ist nur dann sinnvoll, wenn Griechenland seine Handlungsfähigkeit selbst zurückgewinnt. Entscheidend für die Fortsetzung des gemeinsamen Weges ist, dass die bisher schon als notwendig erkannten Reformen nun endlich vorangebracht werden. Dazu bedarf es eines belastbaren Rückhaltes im Parlament.
Ein erster Schritt war, dass das griechische Parlament den von den Staats-und Regierungschefs verabschiedeten Ansatz in Gänze gebilligt und darüber hinaus erste konkrete Maßnahmen aus der Vereinbarung der Staats- und Regierungschefs gesetzgeberisch umgesetzt hat. Dazu zählen
- Verbesserungen bei der Erhebung der Mehrwertsteuer,
- eine reduzierte Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze,
- Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Nachhaltigkeit des Rentensystems,
- das Entlassen der griechischen Statistikbehörde in die Unabhängigkeit und die vollständige Umsetzung des europäischen Fiskalvertrages.
Die im griechischen Parlament verabschiedeten Maßnahmen enthalten zudem halbautomatische Ausgabenkürzungen für den Fall einer drohenden Abweichung von den vereinbarten Haushaltszielen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Umsetzungsrisiken vereinbarter Haushaltsziele im Verantwortungsbereich Griechenlands bleiben und nicht auf die europäischen Steuerzahler überwälzt werden.
Bis zum 22. Juli sollen ferner Maßnahmen für eine leistungsfähigere und effizientere zivile Gerichtsbarkeit auf den Weg gebracht sowie die europäische Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken vollständig in griechisches Recht umgesetzt sein.
Die für ein drittes Griechenlandprogramm mit den Institutionen auszuhandelnde Vereinbarung soll überdies
- eine grundlegende Rentenreform,
- umfangreiche Öffnungen stark regulierter Wirtschaftszweige entsprechend der Empfehlungen der OECD,
- eine Liberalisierung der Energiemärkte,
- einen Umbau der Arbeitsmarktregulierung zugunsten eines nachhaltigeren und inklusiveren Wachstums und
- Maßnahmen zur Sanierung des griechischen Finanzsektors einschließlich eines Stärkens seiner Unabhängigkeit vom griechischen Staat enthalten.
Von zentraler Bedeutung für die Erfolgschancen eines möglichen dritten Programms sind die getroffenen Vereinbarungen zum Umgang zwischen Hilfeersuchenden und Hilfeleistenden:
- Die griechische Regierung und das griechische Parlament haben zugestimmt, künftig wieder vorbehaltlos mit den Institutionen zusammenarbeiten, was auch Programmüberprüfungen vor Ort einschließt.
- Der IWF mit seiner großen Expertise bei Länder-Reformprogrammen bleibt weiterhin im Boot. Ohne den IWF geht es nicht.
- Darüber hinaus kommen die Gesetze auf den Prüfstand, mit denen die neue griechische Regierung bereits umgesetzte Vereinbarungen aus dem zweiten Hilfsprogramm rückabgewickelt hat.
Um die notwendigen Privatisierungsprozesse zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit griechischer Unternehmen zu beschleunigen, sollen schrittweise Vermögenswerte in einen unabhängigen Fonds eingebracht werden. Ziel ist es, eine langfristige Wertentwicklung zu erreichen. Über das Einbringen von Vermögen in den Privatisierungsfonds, die konsequente Umsetzung der Haushaltsziele und die eingeräumte Möglichkeit, erforderlichenfalls zusätzliche Maßnahmen für Erleichterungen bei den Rückzahlungsmodalitäten der Hilfskredite zu gewähren, besteht die grundsätzliche Aussicht, die Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen. Zu beachten ist dabei, dass der überwiegende Anteil der griechischen Staatsschulden in gering verzinsten Krediten internationaler Institutionen besteht, sodass die Belastung für den griechischen Staatshaushalt weit geringer ist, als bei einer entsprechenden Verschuldung am Markt.
Liebe Freunde,
kein Abgeordneter hat sich seine Entscheidung leicht gemacht. Wir haben insbesondere innerhalb der Landesgruppe intensiv über das Für und Wider diskutiert. Niemand – auch nicht die Ökonomen – kann vorhersagen, welche Auswirkungen ein ungeordneter Bankrott Griechenlands hätte. Mit den nun anstehenden Verhandlungen haben wir zumindest die Chance, Griechenland, wenn es denn will, eine Perspektive zu ermöglichen. Wir werden vor einer möglichen Abstimmung über ein neues Hilfspaket genau prüfen, ob die dafür notwendigen Vereinbarungen vorliegen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Stübgen, MdB
Landesgruppenvorsitzender